Rede von Viola Obasohan (1. Vorstandsvorsitzende des IBZ) zur Kundgebung Kultur für Demokratie, am 14.09.24 auf dem Jahn Platz
Als ich ungefähr 5 Jahre alt war, habe ich zum ersten Mal aus Gesprächen meiner Verwandten bewusst den Begriff NSDAP gehört. Ich wusste zwar nicht, was NSDAP bedeutet, aber ich nahm damals wahr, dass mit diesem Begriff sehr viel Leid, Grausamkeit und Scham verbunden war. Ich habe meine Verwandten gefragt, was denn die NSDAP sei, und man erklärte mir, dass das eine skrupellose und brutale Partei war, die dafür gesorgt hat, dass es in Deutschland einen sehr schlimmen, grausamen Krieg gab.
In der Grundschule habe ich dann gelernt, dass in diesem Krieg Menschen jüdischen Glaubens massenhaft ermordet worden sind und alle Deutschen das damals zugelassen haben. Ich konnte das nicht verstehen und auch nicht glauben, schließlich hieß das ja, dass selbst meine eigenen Verwandten Teil dieses Geschehens waren.
Sie haben vielleicht selbst am Krieg teilgenommen oder auch nicht. Sie haben vielleicht keine jüdischen Menschen ermordet, aber sie haben es auch nicht verhindert. Sie haben es zugelassen, vielleicht sogar die Partei gewählt. Ich habe mal meine Großmutter gefragt, ob auch sie der Meinung war, dass jüdische Menschen oder Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Herkunft weniger wert sind als sie. Sie hat das verneint und mir erklärt, dass sie nie der Meinung war, die die NSDAP vertreten hat. Und sie schämt sich dafür, dass sie als Deutsche es so weit hat kommen lassen. Aber was hätte sie als einzelne Person schon tun können?
Ich habe meiner Großmutter geglaubt, insbesondere zu ihr hatte ich ein sehr inniges Verhältnis. Sie hat mir nie das Gefühl vermittelt, aufgrund meiner afrikanischen Wurzeln weniger wert zu sein. Trotzdem bleibt es dabei: Ich frage mich, wie konnte eine ganze Nation so blind sein, so taub sein, so stumm sein?
Und dann stehe ich im Hier und Jetzt heute hier vor Ihnen und fange an zu verstehen. Erst ist es nur ein kleiner Teil einzelner Personen, kleine Gruppen, ein kleiner Pegida-Straßenumzug, der irgendwo ganz tief im Osten Deutschlands durch eine kleine Straße zieht.
Die muss man ja nicht ernst nehmen, denn wir sind ja viele! Und hier im Westen ist ja sowieso alles anders. Wir sind weltoffen!
Doch dann wird der Straßenumzug größer, die Parolen lauter und immer mehr Menschen lassen sich davon überzeugen, dass es doch nicht schlimm sei, laut zu sagen, dass man jemanden anderen als weniger wert erachtet als sich selbst.
Das ist doch nicht rassistisch, wenn man behauptet, dass alle Ausländer und Flüchtlinge vom Staat besser unterstützt werden als wir Deutschen selbst.
Ich nenne das Wohnzimmer-Parolen. Denn ich höre sie immer häufiger bei Freunden und Bekannten und auch wieder bei Verwandten, wenn man beisammen sitzt, in geselliger Gesellschaft. Und dann kommen die Wahlen und es sind gar nicht mehr so wenige! Meine Großmutter hat mir damals auch erzählt, dass die NSDAP nur so stark werden konnte, weil es den Menschen damals in Deutschland nicht gut ging. Die wirtschaftliche Situation war nicht gut und man vertraute der Weimarer Republik nicht mehr. 1932 wurde die NSDAP durch ihre gute Propaganda mit über 30 % zur stärksten Fraktion gewählt. Ein Jahr später wird Hitler zum Reichskanzler gewählt. Vielleicht kommt es nur mir so vor, aber zeichnen sich hier nicht deutliche Parallelen ab? Schaut euch nochmal die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen genauer an.
Und wäre meine Großmutter heute noch am Leben, würde ich ihr sagen, es fängt immer mit einzelnen Personen an!!!
Ihr habt die Wahl! Ihr entscheidet, wohin sich unser Land entwickelt und ob auch ihr vielleicht in 40 Jahren euch vor euren eigenen Enkelkindern schämen müsst.
Nur habt ihr dann nicht die Möglichkeit zu sagen, wir haben ja nicht gewusst, wohin das Ganze führen wird.
Es fängt immer mit einzelnen Personen an!
Jede Meinung zählt. Aus einer Stimme werden viele Stimmen. Mach es richtig und lass deine Stimme heute hier zu einer von vielen werden, die sich eindeutig zur Demokratie, Menschenwürde und Toleranz bekennt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.