Dass Wahlen ein wichtiger Bestandteil des demokratischen Prozesses sind, ist unumstritten, doch dies spiegelt sich oft nicht in der Wahlbeteiligung wider; bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2017 lag diese lediglich bei 65,2%. Nun kann man es leid sein, Artikel zu lesen, welche niedrige Wahlbeteiligung anprangern, nicht zuletzt, weil sie oft in einem anschuldigenden Ton gegenüber Nichtwähler:innen geschrieben werden. Jedoch muss man feststellen, dass es sowas wie Nichtwähler:innen gar nicht gibt, denn auch wer nicht wählen geht trifft eine Wahl, nämlich die des Status Quo.

Dieser Status Quo besteht zum Beispiel daraus, dass der politische Ausdruck von Millionen von Menschen in Deutschland systematisch unterdrückt und eingeschränkt wird – und zwar ganz legal. In NRW allein wohnen über 2,3 Millionen Menschen, welche aufgrund ihres Aufenthaltsstatus nicht wählen gehen dürfen. 75% von ihnen wohnen seit über 6 Jahren in Deutschland, 56% seit über 10 Jahren, 43% seit über 20 Jahren. Insgesamt dürfen in NRW etwa 15% der Volljährigen nicht wählen gehen. Wenn man zudem bedenkt, dass fast 17% der Bevölkerung von NRW nicht volljährig und somit nicht wahlberechtigt ist, so wird eine drastische – und von den Gesetzgebern gewollte – parlamentarische Repräsentationslücke offensichtlich. Denn ungeachtet des Alters oder des Aufenthaltsstatus hat jeder Mensch politische Rechte und Interessen – das Recht auf Familie, auf Teilhabe an der Gesellschaft, auf Leben, auf eine Zukunft auf einem bewohnbaren Planeten. Es gilt also für jede Person, die das Privileg der Wahlberechtigung besitzt, es so zu nutzen, dass die Rechte und Interessen dieser marginalisierten Gruppen Ausdruck finden – denn nur wenn der politische Wille der Regierten, und zwar aller Regierten, im Parlament vertreten ist, nur dann kann man überhaupt davon reden, in einer Demokratie zu leben. Es ist Solidarität gefragt mit jenen, deren politischer Wille beiseitegedrängt wird.

Natürlich sind Wahlen nur ein Teil des demokratischen Prozesses, denn es ist weder gewährleistet, dass die Parteien ihre Wahlkampfversprechen einlösen, noch dass Menschenrechtskonforme Wahlkampfversprechen überhaupt gemacht werden. Diese Lücke muss durch zivilgesellschaftliche Organisation, von Protesten und von Demonstrationen geschlossen werden denn Demokratie hört nicht nach dem Wählen auf. Aber auch hier gilt – je weniger der Aufenthaltsstatus gefestigt ist, desto mehr wird der politische Ausdruck eines Menschen unterdrückt da hier der polizeiliche Repressionsapparat besonders gefährdend ist.

Demokratie darf somit auch nicht auf Wahlen reduziert werden. Aber auch wenn keine Partei den eigenen Standpunkt gut genug vertritt, so sind manche doch mehr dazu geneigt auf weitere Forderungen einzugehen als andere. Mit einer Stimme für diese wird der gesamtdemokratische Prozess erleichtert – und dass jede Stimme zählt, hat sich bei der saarländischen Landtagswahl im März dieses Jahres gezeigt. Bei dieser erreichten die Grünen einen Zweitstimmenanteil von 4,99502%; es fehlten ihr lediglich 23 Stimmen, um in den Landtag einzuziehen.

Für mehr Informationen zur Landtagswahl, dem Programm der Parteien sowie zur Stimmabgabe siehe die Landeszentrale für politische Bildung in NRW: https://www.politische-bildung.nrw.de/themen/landtagswahl-nrw-2022

Quellen:

https://mediendienst-integration.de/artikel/wer-in-nrw-nicht-waehlen-darf.html

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1095979/umfrage/bevoelkerung-nordrhein-westfalen-nach-altersgruppen/#professional

Text von Jonas Dreher